Alle Jahre wieder …

Jugendrichter lehnen Warnschussarrest und Verschärfungen des Jugendstrafrechts ab

Für die Bundesarbeitsgemeinschaft Justiz und Anwaltschaft in der DVJJ erklärt Jugendrichter Christian Scholz, Lüneburg: Die durch die Bundesarbeitsgemeinschaft vertretenen Jugendrichter/innen, Jugendstaatsanwält/inn/e/n und Rechtsanwält/inn/e/n lehnen sowohl die Einführung eines Warnschussarrestes als auch die weiteren, aus den Reihen der Politiker/innen aktuell geforderten Änderungen des Jugendstrafrechts in Deutschland ab.

Die gegenwärtige Diskussion ist nicht neu. „Alle Jahre wieder“ – wenn spektakuläre Straftaten junger Menschen publik werden und noch dazu, wenn Wahlkampf ist, tauchen diese populistischen Forderungen auf, die trotz aller Wiederholungen in nahezu einhelliger Auffassung der Kriminalrechtswissenschaft keinerlei Effizienz im Hinblick auf die Verminderung von Jugendkriminalität versprechen. Das Ärgerliche dabei ist, dass dies den entsprechenden Politiker/inne/n ja durchaus bekannt ist, sie aber dieses bessere Wissen dem Streben nach Wählerstimmen und damit nach Macht unterordnen – auf Kosten der nicht informierten Laien.

Auch die Praktiker/innen halten überwiegend den Warnschussarrest für ebenso unwirksam in Bezug auf Verminderung von Jugendkriminalität wie die weiteren Forderungen nach Heraufsetzung der Höchststrafe von zehn auf 15 Jahre für unter 18-Jährige. Für Heranwachsende (18- bis20-Jährige) gilt diese Strafandrohung ja schon jetzt, ohne dass die Straftaten dieser Klientel deshalb abgenommen hätten. Junge Straftäter machen sich generell keine Gedanken über die (strafrechtlichen) Folgen ihres Tuns. Deshalb ist auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Strafrecht bzgl. junger Straftäter/innen die Generalprävention (Abschreckung) untersagt. Zur Vermeidung von Straftaten junger Menschen jedenfalls sind höhere Strafandrohungen und härtere Maßnahmen untauglich.

Die Forderung, Heranwachsende generell dem allgemeinen (Erwachsenen-) Strafrecht zu unterstellen ist ebenso alt wie kontraproduktiv, wenn es um den berechtigten Rechtsgüterschutz der Gesellschaft geht. So kommt es auch nicht überraschend, dass die Praktiker/innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen und vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse beim Jugendgerichtstag im September 2007 in Freiburg mit überwältigender Mehrheit dafür votiert haben, auf junge Straftäter/innen bis zum 21. Lebensjahr obligatorisch das Jugendstrafrecht anzuwenden und darüber hinaus dieses fakultativ bis zum vollendeten 25. Lebensjahr zu tun, um somit dieser gesamten stark kriminalitätsbelasteten Altergruppe mit dem breiten – und erfolgsträchtigen – Spektrum jugendstrafrechtlicher Maßnahmen begegnen zu können – dem besten Mittel zum notwendigen Opfer– und Rechtsgüterschutz der Gesellschaft.

Den deutschen Praktiker/inne/n des Jugendstrafrechts ist dabei klar, dass diese – in der Regel erfolgreicheren ambulanten – Maßnahmen finanziell durchaus erhebliche Mittel erfordern, die die Justiz und nicht die Kommunen bereitstellen müssen. Bisher wurden solche Mittel ohne Bedenken lediglich für den Bau von – letztlich wegen der höheren Rückfallquote ineffizienten – Haftanstalten bereitgestellt.

Hier ist die mündige und aufgeklärte Allgemeinheit aufgefordert, von ihren Politiker/inne/n einen effektiveren Einsatz der Finanzmittel einzufordern. Ob „Jugendcamps“ in diesem Zusammenhang eine probate Lösung sind, bedarf der Einzellfallprüfung.

Die Gesellschaft macht es sich zudem zu einfach, das Problem der Jugendkriminalität ausschließlich der Justiz aufzubürden. Wenn junge Straftäter/innen vor Gericht stehen, sind die entsprechenden Straftaten bereits geschehen. Wie viel besser wäre es, finanzielle Mittel zur Integration ausgegrenzter „loser“ der Gesellschaft (und das sind beileibe nicht nur solche mit Migrations-Hintergrund) einzusetzen.

Jugendkriminalität ist in Wahlkämpfen immer ein probates Thema, das sogar – im Nachhinein peinliche – Erdrutsche im politischen Lager verursachen kann (z. B. Schill und seine Partei in Hamburg). Es wäre schön, wenn diese Problematik auch in weniger aufgeregten Zeiten – und dann eine fundierte – Beachtung finden würde. In der Recourcenverteilung innerhalb der Justiz z. B. rangieren die Praktiker/innen des Jugendkriminalrechts häufig unter „ferner liefen“. Aus- und Fortbildung liegen vielfach im Argen. Schon lange geforderte – rechtlich festgeschriebene – Qualifikation fehlt nach wie vor.

Politiker/innen, die sich ernsthaft eine effektive Reaktion auf strafrechtliches Verhalten junger Menschen auf ihre Fahnen geschrieben haben, sollten sich vor allem mit diesen Problemen beschäftigen. Jedenfalls wird die – zu Recht – geforderte schnelle Reaktion auf Straftaten junger Menschen mit dem – auch zahlenmäßigen – vorhandenen Personal immer schwieriger.

Die Gesellschaft muss sensibilisiert werden hinsichtlich dessen, was wirklich hilft, um Jugendkriminalität effektiv zu begegnen. Solange populistische Forderungen, wie die augenblicklichen, auf fruchtbaren Boden fallen und wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso wie praktische Erfahrungen unberücksichtigt bleiben, wird sich jedenfalls am gegenwärtigen Zustand der Jugendkriminalität nichts ändern.

Jochen Goerdeler

Kontakt: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V., Lützerodestraße 9, 30161 Hannover, Fon: 0511 3483640, Fax: 0511 3180660, Fu: 0177 4114981

Weitere Informationen: www.dvjj.de und www.jugendgerichtstag.de

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